Wenn die Weltköche zu Gast im Ikarus sind, dann pilgern Gourmets von Nah und Fern nach Salzburg, um einzigartige Kreationen aus absoluten Top-Produkten zu kosten. Einmal im Jahr erscheint ein großformatiges Buch mit Rezepten und Stories von den und über die Küchengötter. Wir haben uns durch die knapp 400 Seiten geblättert und versucht herauszufinden, ob die Gänge nur hübsch aussehen und zu lesen sind – oder ob die Gourmetküche für daheim in der eigenen Küche gelingt. Ein Experiment unter dem Titel “reality kills”?
Welche Rezepte kommen auf den Herd?
Wir haben uns für einen Gang von zwei-Sterne-Koch Cyril Molard entschieden. Er ist Inhaber des Edelrestaurants “Ma Langue Sourit” in Luxemburg. Seine Hauptdarstellerinnen und -darsteller: Langoustine, Pastinake, Yuzu, Buchweizen.
- Zutaten, die wir wegen schmeckt-mir-nicht gleich aus dem Rezept eliminiert haben: Kaviar und Xanthan.
- Dann Zutaten, die wir nicht zuhause haben: frische Langustinen und Pastinaken, Kumquats, Sahne, frische Yuzu.
- Aber: Zutaten, die wir zuhause haben: Salzflocken, Bio-Zitrone und -Orange, Buchweizen, Butter, Zwiebeln.
- Zutaten, die wir beim Einkaufen nicht bekommen haben: Lest selbst.
Lasset die Gourmetküche für daheim beginnen
Montag 10 Uhr in Salzburg: Mit einem Einkaufszettel in der Hand geht es los zu Fisch Krieg, dem lokalen Fischhändler im Zentrum der Mozartstadt. Dort stehen wir vor verschlossenen Türen. Ruhetag. Doch ob das Geschäft am Dienstag aufmacht, ist ungewiss; am Samstag war auch zu, Personalmangel, wie ein handgeschriebener Zettel verrät. Augenrollen, denn es ist klar, dass wir keine Langustinen von toller Qualität in der näheren Umgebung kaufen können. Also rüber über zwei Zebrastreifen und hinein in den Gourmet-Supermarkt am Platz.
Dort finden wir, was das Rezept verlangt. Und mit einem Packerl Bio- (und mordsmäßig üppig zertifizierten) Garnelen auch eine Alternative zur Langustine. Zugegeben, ein kulinarisch schwacher Trost. Das passiert uns noch einmal, Salzburgs fußläufig gelegene Innenstadt-Läden bieten keine frischen Yuzus und auch keine Kumquats an. Immerhin steht zu Hause eine Flasche Olivenöl, das mit der asiatischen Zitrusfrucht verfeinert wurde. Und die Mühe, wegen einer Messerspritze Xanthan ein ganzes Päckchen zu erstehen, sparen wir uns und nehmen die ergoogelte Alternative, den Flohsamen, zum Binden des gelben Soßentupfens im Gesamtensemble.
Rezept aus dem Ikarus Salzburg: Ein Gourmet-Gericht entsteht daheim
Mit dem Fang zuhause angekommen geht es ans mise en place aka “Schnippeln und Herrichten”. Hauptpunkt beim Nachdenken und im-Kopf-Durchspielen ist die Kunst, alle Komponenten richtig temperiert auf die steingraue Unterlage zu bringen. Also beginnen wir damit, Pastinakenscheiben zu braten und die Pastinaken-Mousseline vorzubereiten. Dass wir den Pastinaken-Yuzu-Schaum nicht liefern können, ist uns klar; unsere Küche besitzt keine Espumaflasche mit NO2-Kapsel. Eine Creme muss reichen. In einer Pfanne rösten wir parallel trocken den Buchweizen, ein herrlicher Duft steigt auf. Butter und Schlagobers (Sahne) kommen in unüblich großer Menge zum Einsatz, Fett ist bekanntlich Geschmacksträger, was mit einer großzügigen Handbewegung gefördert wird. Zum Schluss braten wir die Garnelen glasig und widersetzen uns damit zum wiederholten Mal dem Originalrezept, in dem das weiße Fleisch nur eine Minute lang im Ofenrohr erwärmt wird.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen
Beim Drapieren auf die Schieferplatte sind wir zufrieden, obwohl wir sehr (sehr, sehr) freestyle gearbeitet haben. Aus einem sorgfältig ausgeklügelten und hingebungsvoll zubereiteten Rezept haben wir etwas Köstliches aus der eher schnellen Küche gezaubert. Langwieriges wie eingelegte Kumquats haben wir sofort gestrichen. Die Gourmetküche für daheim muss eben mit Abstrichen klarkommen.
Fazit: Die Kombi mit der Pastinaken-Mousseline und der frittierten Wurzel hat uns sehr gefallen, ebenso der geröstete Buchweizen. Der passt auch zu den weniger edlen Garnelen fein. Und für den gewissen Crunch sorgt er auch. Die Anrichteweise ist ein echter Hingucker. Als Start in einen kulinarischen Abend daher absolut geeignet.
Außergewöhnliches nur mit Zeit und zu Anlässen
Doch Hand aufs Herz: Mit unserem ausgewählten, mehrteiligen Rezept haben wir uns für eines entschieden, das überhaupt machbar ist. “Kochen wie die Stars im Ikarus” bleibt leider eine Illusion, selbst bei vermeintlich wenig aufwendigen Kreationen. Die meisten Köstlichkeiten erfordern Zutaten, Geräte und Arbeitsschritte, die in einer Standardküche zuhause schlichtweg nicht vorhanden sind. Oder habt ihr Seeohren, Super Neutrose und ein 100jähriges Ei griffbereit?
Band 9 des wirklich schweren (wir meinen das Buch-Gewicht) Ikarus-Lesestoffs ist wunderbar durchzublättern, wenig alltagstauglich wenn’s ums Nachkochen geht und ganz ausgezeichnet zum Schwelgen in kulinarischen Welten, die Profis von Weltrang mit Zutaten von Weltklasse zu perfekten Geschmackserlebnissen verschmelzen lassen. Wermutstropfen: Wer eine Spitzenköchin im Buch erwartet, wird enttäuscht. Denn auch in diesem Jahr waren nur Männer zu Gast im Ikarus.
“Die Weltköche zu Gast im Ikarus” gibt es im Online-Shop sowie im Buchhandel.
1 Kommentar