“Ich hab dein Edito von letzter Woche gelesen”, teilte mir kürzlich Freund und Kollege Dieter mit.
“Danke”, freute ich mich.
“Naja, ich lese alle deine Editorials. Aber das war das fadeste, das du je geschrieben hast”, informierte er mich sachlich. Ha! Der hat ja auch noch nie meine Tagebücher aus den Jahren 1990 bis 1995 gelesen!
“Das klang so brav…” Ha! Der hat ja noch nie meine Tagebücher 1995 bis 2019 gelesen!
Er hat recht, der Dieter. Aber man kann das neue Jahr ja auch nicht gleich mit einem Rundumschlag starten, oder? Zwecks Karma warats. Manchmal habe ich sowieso das Gefühl, nicht genügend Anerkennung zu bekommen für all die Dinge, die ich nicht sage oder tu. Zum Beispiel Menschen Handys quer in ihr Rektum einzuführen. Kein Witz. Unlängst war ich in einer Ballettvorführung von Schwanensee. Ich hatte einen tollen Platz in der Mitte der achten Reihe, Kartenpreis 82 Euro. Das Auditorium füllte sich, das Orchester stimmte sich ein, das dritte Läuten war bereits ertönt. Dann ging das Licht aus. Gleichzeitig mit dem Corps du Ballet liefen auch die beiden Personen ein, die die Plätze direkt neben mir hatten. Ein sehr dicker Mann in Jeans und mit grünem Kapuzen-Pullover und eine sehr dicke Frau, komplett in Schwarz gekleidet. Die halbe Reihe musste sich erheben, damit die beiden sich auf ihre Plätze begeben konnten, während auf der Bühne schon der Harlekin seine Piroutten drehte. Gut, natürlich weiß man nie, weshalb die Menschen zu spät angekeucht sind (Stau, Reifenplatzer, Babysitter abgesagt, verpeilt gewesen…), aber die beiden Herzchen schafften es im Verlauf des Stücks auf meine Hassliste auch ohne diesem Minuspunkt nach ganz oben.
“Worum geht’s?” zischte der Mann außer Atem seiner Frau zu.
“Was weiß ich. Schwäne oder so”, sagte die abwesend. Sie musste noch schnell eine Whatsapp an ihre Freundin tippen, ihre Mails checken und ein Selfie auf Facebook posten, während auf der Bühne Prinz Siegfried seinen 21. Geburtstag feiert. “Hm”, grunzt der Typ, während er mit offenem Mund und auf der Wampe gefalteten Händen Richtung Bühne starrt. Sie hat das Handy in ihre Tasche gesteckt, dabei aber eine Packung Schokobons gefunden. Geräuschvoll wickelt sie zwei aus und steckt sie in den Mund, danach reicht sie – treusorgende Ehefrau, die sie wahrscheinlich ist – ihrem Mann die Packung rüber. Ohne hinzusehen kramt er im Plastiksackerl und mampft dann ebenfalls Schokobons. Ich versteh das ja vollkommen. Es ist wahnsinnig anstrengend, auf bequemen Plüschstühlen zu sitzen und einer Ballettkompanie dabei zuzusehen, wie die die Gesetze der Schwerkraft ignorierend über die Bühne schweben.
“Uiii”, stöhnt der Mann, den ich inzwischen Shrek genannt habe, als Odile (der schwarze Schwan) ihre Fouettes nicht ganz sauber beendet. “Des war net elegant”, sagt er in völlig normaler Lautstärke zu seiner Begleiterin. Also abgesehen davon, dass eine Fouette zu den schwierigsten Ballettmoves überhaupt zählt, ist Odile wahrscheinlich mit Durchfall am Klo noch eleganter anzusehen als unser Shrek in seiner schönsten Abendgarderobe. Ich fragte mich ernstlich, ob die beiden sich verlaufen hatten und in Wahrheit am Weg ins Stadion falsch abgebogen waren. Die Schwelle von Kopschütteln und Unverständnis zum blanken Hass meinerseits haben die beiden dann aber überschritten, als sie begannen, die Vorstellung mit ihren Handys zu fotografieren (anfangs sogar mit Blitz) und dann zu filmen. So etwas respektloses hatte ich noch nie gesehen. Dachte ich.
Das sind die 32 Fouettes “in a row”, für die “Schwanensee” berühmt ist:
Nach einiger Zeit meinte Shrek zu seiner Frau: “Haha, die Strumpfhosen. Das schaut schon lächerlich aus.” Ich fragte mich wieder, wie es gekommen war, dass ausgerechnet diese beiden Gestalten auf jeweils 80 Euro teuren Sitzplätzen in einem klassischen Ballett saßen und nicht etwa daheim “Frauentausch” oder etwas ähnlich anregendes schauten. Meine Mordgedanken waren gegend Ende des ersten Teils schon etwas konkreter geworden. Dann fiel der Vorhang. Shrek fragte seine völlig desinteressierte Frau: “Und, wie is’ es jetzt ausgegangen?”
“Keine Ahnung. Gemma no was essen?” antwortete Shrek-Frau. Sie hatten nichtmal mitbekommen, dass das Stück nicht zu Ende war, sondern gerade die Pause begann…
Ich hoffe, die beiden nie wieder zu treffen,