Es gibt vielleicht keinen Ort der Welt, der ähnlich unspektakulär aussieht, aber mit ebensoviel Spannung und Geheimnis aufwarten kann, wie Rachel. Der kleine Ort in Nevada ist Heimat von nur rund 50 Menschen und einer Reihe von Briefkästen, liebevoll Mailbox Row genannt. Rundherum gibt es (fast) nichts. Der nächste Ort mit Lebensmittelgeschäften und Versorgungseinrichtungen ist Alamo. Und der liegt 80 Kilometer entfernt. Dennoch ist Rachel Pilgerort für zahlreiche Touristen. Sie kommen, weil hier das Tor zur Area 51 zu finden ist.
Nichts, nichts, bämm
Es ist ein kühler, aber sonniger und klarer Tag, als wir unseren Trip zum Tor der Area 51 starten. Wir sind quer durch Nevada unterwegs und haben für heute die Strecke zwischen Tonopah und Las Vegas in Angriff genommen. Zunächst fahren wir den Highay 6 entlang. Der trägt den hochtrabenden Namen Grand Army of the Republic. Grand ist er, sogar grandios. Denn er führt schnurgerade durch die Wüste. Links und rechts und vor uns: nichts. Und das 80 Kilometer lang. Dennoch können wir uns einfach nicht an der Weite sattsehen. Bilder können nicht annähernd einfangen, wie es sich anfühlt, mitten im Nirgendwo unterwegs zu sein. Als wir für einen kurzen Fotostopp halten, ist die tosende Stille ohrenbetäubend.
Nach 45 Minuten stupiden Geradeausfahrens kommt dann ein bisschen Action. Das Navi bittet uns, “leicht rechts” abzubiegen. Das tun wir gehorsamst, denn damit befinden wir uns am Highway 375. Der ist seit 1996 ganz offiziell als “Extraterrestrial Highway”, kurz ET-Highway, bekannt. Damit kurbelte man den Tourismus ordentlich an. Und zwar einen ganz speziellen. Nämlich jene Menschen, die sich zu den Alien-Fans zählen. Oder etwas fürs Geheimnisvolle und Außerirdische übrig haben. Schließlich führt der Highway 375 als einzige zivile Straße quasi zur Area 51.
Auch nach der Kurve geht es wieder schnurgerade auf einen Punkt zu, an dem der Highway mit dem Horizont verschmilzt. Doch dann kommt in der Ferne ein Schild in Sicht. Es ist beliebtes Fotomotiv und ein Ort, an dem seit kurzem auch ein Chill Report Sticker klebt: Das Schild mit der Aufschrift “Extraterrestrial Highway”. Auf der gegenüberliegenden Seite erwartet uns eine Betonwand mit Aliengesicht. Auch das dankbares Instagold. Wer will es einem verübeln? Schließlich erblicken unsere Augen zum ersten Mal seit zwei Stunden etwas anderes als die braune und karge Wüste Nevadas. Dann geht es gefühlt Schlag auf Schlag.
Little A’le’inn und Alien Cowpoke
Denn rechts neben dem Highway taucht eine Blechbaracke auf. Es handelt sich dabei um das Little A’le’inn. Ein Motel, Giftshop und Restaurant in einem. Als der Vater der derzeitigen Miteigentümerin Connie West das Unternehmen, das man ursprünglich als Rachel Bar & Grill kannte, 1988 kaufte, wollte er es in Little Ale Inn umbennen. Angeblich ist es einem Missgeschick in der Druckerei zu verdanken, dass daraus Little A’le’inn wurde. Weil gleichzeitig der Verschwörungstheoretiker Bob Lazar erstmals ein Interview über seine angebliche Tätigkeit in der Area 51 gab, entschloss man sich, daraus Kapital zu schlagen.
Dekoration mit Alien-Thema folgte. Aus der Küche kamen Alien-Burger, Geschenkeartikel mit Außerirdischen-Thema zogen ein. Und das Business boomt seither. Nicht nur, weil sich hier lange Zeit die einzige funktionierende Toilette zwischen Tonopah und Alamo zu finden war. Seit Jahren kommen Besuchende aus aller Welt, um nach dem Weg zur Area 51 zu fragen. Und um Ausschau nach Ungewöhnlichem zu halten. Als ich den Mitarbeitenden hinter der Theke, Michael, frage, ob er schonmal Aliens gesehen habe, antwortet er sehr trocken: “They come in every day. From every part of the world.” Ha, ha.
Dass die Menschen hier alle möglichen Seltsamkeiten täglich sehen, ist kein Wunder. Manche fragen angeblich sogar nach dem “Weg nach Hause”. Skeptiker, Beliver, Want-to-Leavers: Sie alle kommen. “Do you want to see the UFO we got on tape?” fragt Michael. Klar wollen wir. Am Ende der Welt sind die Dad-Jokes auch nicht lustiger als wo anders, doch Michael ist sichtlich pleased mit seinem Witzchen. Wir lachen und bereitwillig gibt er uns daraufhin die Wegbeschreibung zur Area 51.
Am Weg zum Tor zur Area 51
Es stellt sich heraus, dass es gar nicht schwierig ist, zum Backdoor der geheimnisvollen Gegend zu gelangen. Nur 15 Kilometer entfernen uns vom Eingang zu einem Mysterium der Menschheitsgeschichte. Sicherheitshalber halten wir noch bei Alien Cowpoke an. Auch hier: Geschenkartikel mit Alien-Thema, zusätzlich kann man aber auch tanken. Vor dem Store sitzt Donna M. Maguire. Sie arbeitet nicht nur hier, sondern hat auch ein Kinderbuch geschrieben. Das Thema: Aliens, d’uh. Bereitwillig erzählt sie uns ihre Theorie über Tintenfische, die in Wahrheit Aliens sind.
Sie bestätigt uns nochmal die korrekte Route zum Tor zur Area 51: Vorbei am Stoppschild, die Schotterstraße entlang. Irgendwann kommt links ein Autowrack. Daran geht es einfach vorbei. Es gibt keine Abzweigungen, irgendwann kommt aber wieder ein Stück Asphalt. Und nach ca. 15 Kilometern kommt dann die Struktur in Sicht, die sich beim Näherkommen als Backgate of Area 51 herausstellt. Es wäre gelogen zu behaupten, dass sich da der Puls nicht beschleunigt. Zwar sieht der Eingang (oder Ausgang oder was auch immer) nicht spektakulär aus. Aber wir nähern uns trotzdem vorsichtig.
Alarm am Tor zur Area 51
Die Vorsicht, wie sich später herausstellt, ist unbegründet. Denn schon seit langem weiß man im Inneren des militärischen Sperrgebiets, dass wir kommen. Entlang der (übrigens öffentlichen!) Straße am Weg zum Backgate gibt es Bewegungsmelder. Auch Kameras haben uns wohl schon länger am Schirm. T.D. Barnes, ein ehemaliger Mitarbeiter der CIA sagt dazu: “Man kommt da nicht rein. Es gibt Bewegungsmelder und Überwachungskameras in den Bergen. Sie sehen wahrscheinlich jeden Vogel und jede Kuh auf dem Gelände. Nichts bewegt sich, ohne dass sie davon wissen.”
Direkt vor dem Tor dann ebenfalls: Kameras, die jede unserer Bewegungen verfolgen. Ironischerweise werden die Warnschilder (“Photography prohibited”) zu unserem beliebtesten Fotomotiv. Auch Instagram ist voll davon. Als ich mich jedoch davor in Pose schmeiße und Selfies mache, plötzlich der Moment, der dazu führt, dass sechs Frauen fast einen Herzinfarkt kriegen: Die Sirene geht los. Während wir mit einem Puls von 200 zum Auto laufen, lachen sich irgendwo im Inneren der Area 51 Sicherheitsbeamte wahrscheinlich schlapp.
Alien Research Center
Wir fahren die Straße zurück zum Highway 375 und schlagen wieder den Weg Richtung Las Vegas ein. Wir haben noch zwei alien-themed Zwischenstopps vor uns. Zum einen ist da das Alien Research Center in der Nähe von Hiko. Auch hierbei handelt es sich im Grunde um einen Geschenkeladen, in dem man auf so ziemlich jedes Ding, das man sich vorstellen kann, Aliens aufgeklebt hat. Von Hoodies und Nummerntafeln bis hin zu scharfer Sauce und Unterwäsche kann man hier alles kaufen, wonach einem das extraterrestrische Herz steht.
Ein kleines Stückchen weiter dann zum letzten Mal ein Shop mitten im Nirgendwo: ET Fresh Jerky. Wie der Name sagt gibt’s hier Jerky in allen Variationen. Dazu Softdrinks, Nüsse, Snacks und Süßigkeiten. Und nochmal eine funktionierende Toilette. Eine, die uns gerade recht kommt. Bis zu unserem nächsten Ziel, Las Vegas, sind es nämlich nochmal zwei Stunden Autofahrt.