Mehr als 100 Bühnen, 3.000 Künstler und Künstlerinnen und mehr als 200.00, die ihnen zujubeln: Das Glastonbury Festival auf der Worthy Farm im Südwesten Englands, nahe dem Provinzdorf Pilton (weniger als 1.000 Einwohner), ist jeden Juni ein unvergleichliches Spektakel. Eine Karte für fünf Tage Auszeit von der Welt ist ähnlich begehrt wie die Goldenen Tickets für Willy Wonkas Schokoladenfabrik. Doch wer sind eigentlich die Leute, die das große Glück haben, Jahr für Jahr am besten Glastonbury arbeiten zu düren? Wir haben bei der diesjährigen Auflage ein paar unter die Lupe genommen.
Emily: Die Festival-Chefin
Emily Eavis ist die jüngste Tochter von Glastonbury-Gründer Michael Eavis. Und seit der sich weitgehend zurückgezogen hat, die wichtigste Frau am Festival. Emily wuchs auf der Worthy Farm auf und kennt jede Ecke wie ihre Hosentasche. Sie hat das letzte Wort, wer wann auf welcher Bühne auftritt und was sonst noch alles auf dem Festival passiert. “Ich lebe Glastonbury zwölf Monate im Jahr, mein Team und ich tun unser Bestes, um ein magisches Event auf die Bühne zu stellen”, beschreibt sie den Joballtag. Am Festival selbst zieht Emily nicht nur im Hintergrund die Fäden, sondern mischt sich auch selbst unter die Glastonbury-Fans, wie hier etwa bei der Eröffnung der Woodsies Stage.
Alex und Lucy: Die Wasserspender
Tanzen und feiern machen durstig – doch dieses Duo schafft Abhilfe: Alex und Lucy sind zwei von rund 750 Freiwilligen, die beim Glastonbury arbeiten, um die Kehlen der Partytiger vor dem Austrocknen zu bewahren. Um unnötigen Plastikmüll zu vermeiden, sind alle Festivalgäste angehalten, wiederbefüllbare Flaschen einzupacken. Und WaterAid, eine britische NGO, sorgt vor Ort dafür, dass diese immer voll bleiben. “Es gibt unterschiedliche Freiwilligenjobs. Wir arbeiten an der Wasserstation, andere im Recycling-Team und wieder andere sind für die Toilettenreinigung zuständig”, so die zwei. Jeder Volunteer absolviert mehrere Schichten beim Festival, davor und danach sind Zeit für Konzerte und Party angesagt.
Steve: Entertainer mit Retro-Rad
Steve, Schauspieler, Entertainer und Straßenkünstler, ist einer der Hingucker im Zirkusbereich des Glastonbury Festivals. Mit seinem selbstgebastelten Gefährt radelt er, Pfeife im Mundwinkel, Landkarte in der Hand, zwischen den Zelten herum. Und damit ihn garantiert keiner übersieht, spuckt sein fahrbarer Untersatz auch noch Seifenblasen. “Ich bin hier, um die Leute zu unterhalten”, so seine Devise. Die Rolle, die er am Festival spielt: Er versucht, die Festivalgänger auf die Isle of Wight zu lotsen. Warum ihm gerade diese Destination so am Herzen liegt, verrät er nicht. Ein echtes Glastonbury-Unikat ist der Mann mit der Pfeife aber allemal!
Emily: Die Gärtnerin am Festival
Beim Festival gibt es nicht nur jede Menge Bühnen und Zelte, sondern etwa auch Blumen- und Gemüsegärtchen. Und Emily (auf dem Bild mit ihrer Tochter Lettie) ist eine von jenen, die diese in liebevoller Arbeit in Schuss halten. “Für uns geht die Arbeit schon Wochen bevor die Tore öffnen los. Es ist spannend, bei den Aufbauarbeiten dabei zu sein”, sagt sie. Auch in ihrem elften Glastonbury-Jahr hat das Festival nichts von seiner Magie verloren: “Ich liebe das Event, die Worthy Farm und die Leute, mit denen ich arbeite. Glastonbury ist wie heimkommen.” Nur eines hat sich im geändert, gesteht sie schmunzelnd: “Seit meine Tochter mitkommt, kann ich nicht mehr ganz so viel Party machen.”
Stella: Die Quigong Trainerin
Die gebürtige Griechin arbeitet als Qigong-Trainerin in Oxford. Beim Glastonbury Festival ist das Healing Field Stellas Revier, einer Art Hippie-Zone mit Tipis, bunten Fähnchen und Buddha-Statuen, die Festivalgehern eine kleine Auszeit vom Rummel bietet. Hier bietet Stella tägliche kostenlose Kurse an: “Vom Anfänger bis zum Profi kann jeder mitmachen.” 2024 war ihr zweites Jahr: “Ich liebe die Vielfalt bei Glastonbury, die entspannte Atmosphäre im Healing Field, aber genauso die vielen Bands, die hier auftreten.” Besonders angetan hat es Stella auch das nahe gelegene Greencrafts Field, wo man unter Anleitung von Profis vom Schmuck basteln bis hin zum Schnitzen alles Mögliche lernen kann.
Steve: Das künstlerische Urgestein
Shemanic Steve sitzt nur wenige Minuten entfernt vor seinem Van. Der Brite mit dem Rauschebart war 1981 zum ersten Mal beim Festival, stellt dort seine Kunstwerke zur Schau. Seit 16 Jahren parkt er immer am selben Platz. “Ich fühle mich hier zu Hause, habe Freunde. Die Headliner interessieren mich nicht mehr – ich kenne keinen einzigen”, sagt er. Und das, obwohl er früher selbst die Künstler und Künstlerinnen betreut hat. Neben dem Hippie-Feld schätzt Steve den Stone Circle, einen Megalithen-Kreis auf der Farm. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich viel verändert, findet er: “Dadurch, dass die Tickets heute online verkauft werden, haben jene, die jahrzehntelang dabei waren, kaum mehr eine Chance.” Die Lösung: “Die meisten von uns arbeiten jetzt am Festival.”
Alice: Die Modeberaterin am Vintage-Stand
Alice ist im echten Leben Kellnerin in Brighton, doch im Sommer arbeitet sie bei mehr als einem Dutzend Festivals. In Glastonbury verkauft sie am Stand einer Freundin Vintage-Klamotten. “Ich liebe das Festival, die Atmosphäre, die Leute – jeder ist einfach glücklich, hier zu sein”, sagt sie. Für Alice ist Glastonbury eine Art Klassentreffen: “Ich kenne so viele, die hier arbeiten und einmal im Jahr kommen wir alle zusammen.” Neulingen empfiehlt sie, neugierig zu sein und sich auch abseits der Hauptbühnen umzusehen: “Eines meiner absoluten Highlights 2024 war ein Schamanenritual mit Kostümen, Trommeln und allen Drum und Dran, über das ich zufällig gestolpert bin.”
Constantinou: Der Greenpeace-Botschafter
Der Italiener Constantinou hat sich ganz dem Umweltschutz verschrieben. Er arbeitet hauptberuflich bei Greenpeace, geht in London und bei diversen Festivals auf der Insel auf Mitgliederjagd. “Es ist ein Job mit Sinn, der gleichzeitig sehr viel Spaß macht”, so Constantinou. Beim Glastonbury Festival hat Greenpeace eine eigene Zone (leicht erkennbar an einem riesigen künstlichen Baum), mit einer Bühne für Musik und Vorträge, mit Workshops, einer Rave-Zone, und einem veganen Essensstand. Allein an den fünf Tagen im Juni rekrutiert die Greenpeace-Crew alljährlich tausende neue Mitglieder. Glastonbury ist, sagt Constantinou, für Greenpeace “eine der wichtigsten Wochen im Jahr”.
Alle Bilder: © Astrid Hofer