Ostersonntag. Normalerweise: Ich bin bei meinen Eltern am Land, sitze mit denen im Garten. Wir trinken Kaffee, essen Kuchen (zuviel). Irgendwo im Garten gibt’s Osternester zu suchen (und zu finden). Wir treffen Oma, die mit ihren mittlerweile 89 Jahren noch bemerkenswert rüstig ist. Alle Verwandten kommen. Ein bunter, fröhlicher Haufen sitzt zusammen und trinkt noch mehr Kaffee. Es gibt Jause, Eierpecken und macht viel Spaß.
Ostersonntag. 2020. Ich sitze in meinem etwas mehr als handtuchgroßen Vorgarten in einem Wiener Randbezirk. Ich lese, das Wetter ist schön. Kaffee gibt’s auch. Am Handy trudeln Ostergrüße ein. Die Familie habe ich nur via Skype gesehen. An mir ziehen Menschenscharen vorbei, denn meine Straße führt in eines der beliebtesten Naherholungsgebiete Wiens. Ob die alle zusammen in einem Haushalt leben, bezweifle ich. Gegenüber ist der Garten eines Pensionistenheims. Irgendjemand hat “Griechischer Wein” ganz laut aufgedreht und ein paar der BewohnerInnen schunkeln auf den Bänken in der Sonne mit. Alles ist irgendwie friedlich. Mein Buch ist dämlich und vollgepackt mit Halbweisheiten im Kleiner-Prinz-und-Paulo-Coelho-Stil. Weil das Wetter so gut ist und die Stimmung eben so, wie sie ist, verzeihe ich dem Buch seine Unterdurchschnittlichkeit und lese weiter.
Die Musik von gegenüber endet. Ein paar Vögel zwitschern. Kein Kondensstreifen zerstört das perfekte Blau des Himmels. Autos sind in meiner Straße sowieso rar. Es ist still. Dann schiebt eine etwa Fünfzigjährige Frau einen sehr alt aussehenden, grauhaarigen Mann im Rollstuhl durch mein Blickfeld. Anscheinend ist er schon etwas schwerhörig (oder sie), denn plötzlich brüllt er: “Und der Lois? Na der Lois, der sitzt mit seine drei Weiber beim Heurigen!”
Das war der Moment, an dem ich neidisch auf einen mir unbekannten Lois wurde.
Euch eine schöne Woche,
die Frau Hilmbauer