Nach der verheerenden Schlacht bei Leipzig und dem Vertrag mit Österreich, Russland und Preußen war Kaiser Napoleon 1814 gezwungen, den französischen Thron aufzugeben und ein anderes Reich anzunehmen: die Insel Elba. Es kann einen bei Gott schlimmer erwischen.
Insel der Reichhaltigkeit
Die unweit des italienischen Festlands gelegene Insel ist nämlich weit mehr als nur eine veritable Schönheit. Trotz ihrer überschaubaren Größe bietet sie eine beeindruckende Fülle an Erlebnissen. In Zeiten, in denen touristische Vielfalt schon mit einem Freibad, zwei Kirchen und drei Snackautomaten begründet wird, darf Elbas Angebot mit Fug und Recht als überragend gelten. Die Insel verführt mit einsamen Buchten, malerischen Stränden und einer Kulinarik, in der mediterrane Einflüsse auf die ehrliche Küche der Toskana treffen. Und dann ist da noch dieser Atem der Geschichte, der einem unablässig um die Ohren pfeift – Napoleon scheint auf Elba nie wirklich fort gewesen zu sein. Wir erreichen die Insel im milden Licht des Septembers. Die klassische Route führt mit dem Auto oder Zug nach Piombino in der Provinz Livorno, wo regelmäßig Fähren nach Elba ablegen. Vorreservierung? Meist gar nicht notwendig.


Schon die Überfahrt gerät zum starken Prolog: Das Wasser glitzert, die Wellen kräuseln sich um den Schiffsrumpf, und die Möwen liefern emsig den Soundtrack dazu. In Elbas Hauptstadt Portoferraio legen wir an – von hier führt uns der Weg direttamente zum Campingplatz Valle Santa Maria. Der liegt direkt am Strand von Lacona und begrüßt uns sogleich mit einem aparten Blick auf die sagenumwobene Insel Montecristo. Seit zwei Generationen kümmert sich die Familie rund um Gabriele Rotellini um diese Preziose an Campingplatz. „Im Jahr 1967 war hier nichts. Mein Großvater hatte nur ein paar Gemüsefelder und dieses Stück Strand. Dann fragte ihn einmal ein deutscher Tourist, ob er sein Zelt für eine Nacht aufstellen dürfe“, blickt Gabriele zurück. Diese beiläufige Frage ließ Opa Salvatore nicht mehr los. Aus ihr wuchs eine Idee – und aus der Idee ein familienfreundlicher Campingplatz, der bis heute Maßstäbe setzt: Als erster auf Elba wurde er mit dem Öko-Label ausgezeichnet.
Lukullus am Campingplatz
Was den Campingplatz zusätzlich auszeichnet, ist die Kulinarik seines Restaurants, des „Miramar Bistrot“. Der gegrillte Polpo etwa, der hier nach einer Kompanie an Vorspeisen mit geräucherter Burrata daherkommt, ist schlicht ein Gedicht. Auch das Risotto al nero di Seppia tanzt auf meiner Zunge. Napoleon aß übrigens ebenso gerne Fisch, allerdings waren die kulinarischen Gewohnheiten des kleinen Großen mehr von den militärischen Feldzügen geprägt. In den Feldlagern präferierte er gänzlich unprätentiös Bohnen- oder Zwiebelsuppe sowie etwa Huhn- und Rindfleisch.


An seinen „Kriegsgerichten“ säbelte Bonaparte dabei angeblich stets irre hastig – sehr zur Verwunderung seines Umfelds. Elba diente ihm jedenfalls von 3. Mai 1814 bis 26. Februar 1815 als Exil. In dieser Zeit residierte er in zwei prächtigen Anwesen: der Villa dei Mulini im Herzen von Portoferraio und seiner Sommerresidenz außerhalb der Stadt, der Villa di San Martino. Letztere besichtigen wir an unserem Ankunftstag. Napoleon erwarb das rustikale Landhaus und ließ es mit Raffinesse zu einer komfortablen Villa umbauen, die ihm den Blick auf Portoferraio eröffnete. 1856 kaufte der russische Adelige Anatolio Demidoff die mondäne Immobilie. Er ließ für die zahlreichen napoleonischen Relikte ein Museum einrichten und eine Galerie, die noch heute seinen Namen trägt, errichten.
Napoleon und seine Immobilien
Natürlich hat Napoleon auch in Elbas Hautstadt Portoferraio, die wir am Nachmittag erkunden, Spuren hinterlassen. Die Stadt beeindruckt mit ihrem Hafen und den mächtigen Befestigungsanlagen. Die Altstadt breitet sich malerisch auf einer Felszunge oberhalb des Hafens aus und ist ein faszinierender Fundus für Liebhaber von Architektur, Kultur und Geschichte. Ligurer, Griechen, Römer, Pisaner, Spanier sowie Briten und Franzosen – sie alle waren hier und hinterließen ihre Fußabdrücke, sodass sich Portoferraio heute als Kaleidoskop verschiedener Epochen präsentiert.


Besonders reizvoll sind die bunten Häuser am Hafen, gesäumt von Booten und Yachten und bei Sonnenuntergang in ein magisches Licht getaucht. Hier kommt man her, um zu bleiben. Auch wegen der umliegenden Strände. Später besuchen wir noch die Kirche der Barmherzigkeit, in der alljährlich am 5. Mai ein Gedenkgottesdienst zu Ehren Napoleons stattfindet. Daneben liegt das Museo della Misericordia mit Artefakten aus seiner Zeit auf Elba, darunter seine bronzene Totenmaske.
Bonaparte rührt auf Elba um
Vom Appetit gepackt lassen wir uns in der Pizzeria Il Castagnacciaio nieder. Schon im Jahr der Eröffnung 1885 standen die Portoferraiesi hier Schlange, um die legendären Kichererbsenfladen, Pizzen und Kastanienkuchen zu ergattern. 140 Jahre später delektieren auch wir uns an diesen Signature-Dishes der Brüder Antonio, Beppe und Vincenzo – der Chefs dieser lukullischen Anlaufstelle. Als Napoleon einst Elba erreichte, empfingen ihn die Insulaner zwar schon mit mächtig Trara, doch sein unermüdliches Engagement in den folgenden Monaten gewann ihre uneingeschränkte Bewunderung. Der Korse förderte den Bergbau, ließ neue Straßen bauen und verbesserte die öffentliche Hygiene.


Und sogar um das Wohl streunender Hunde kümmerte er sich. Unser dritter Tag auf Elba führt uns zunächst in das einstige Fischerdorf Marina di Campo. Auf einem einstigen Sumpfgebiet gegründet, entdeckte der Ort in den 1950er-Jahren seine Berufung als Urlaubsziel und entwickelte sich zum beliebtesten Ferienort der Insel. Besonders am kleinen Hafen, wo man dem ursprünglichen Charme noch begegnet, offenbart sich die authentischste Seite. Nur einen Steinwurf entfernt thront am Meer gelegene Hauptquartier der Uhrenmanufaktur Locman.


Die Geschichte des 1986 gegründeten und heute weltbekannten Unternehmens ist eng mit seinem Gründer und Präsidenten Marco Mantovani verbunden. Persönlich führt uns der 1961 in Marina di Campo geborene Locman-Chef durch den Hauptsitz. Die Uhren, die bereits die Handgelenke von Jennifer Lopez, David Beckham und Elton John veredelten, werden von Hand montiert sowie in Elba und Mailand gefertigt. 2003 setzte die Marke mit der Vorstellung der weltweit ersten Uhr mit Kohlefasergehäuse ein technisches Ausrufezeichen.
Ein Tag für alle Sinne
Obwohl wir an diesem Tag bereits viel erlebt haben, reicht es uns noch immer nicht. Elba macht irgendwie ständig Lust auf mehr, weshalb uns unser nächster Satz im malerischen und von Wäldern und Weinbergen umringten Ort Marciana Marina landen lässt. Hier liegt das olfaktorische Zentrum von „Acqua dell’Elba“, wo seit 2000 Parfums und Raumdüfte entstehen. Zwei Stunden lang dürfen wir im Labor selbst mitarbeiten: Flakons füllen, etikettieren, verpacken.


Anschließend verduften wir in Richtung Pomont, einem pittoresken Dorf am Fuße des Monte Capanne. Die Fahrt entlang der spektakulären Küste ist bereits ein visuelles Fest. Doch der Sonnenuntergang auf einer Felsenterrasse im Küstendorf raubt uns dann den Atem. Zum Staunen laden aber auch die Fischkreationen im nur 100 Meter entfernten „Officina Gondolino“, wo der traumhafte Tag ausklingt.
Bergbau und Festung
Elba wäre ohne den Bergbau, der von der Antike bis 1981 Wirtschaft und Alltag bestimmte, undenkbar. Besonders bedeutend war der Abbau von Granit und Eisenerz, vor allem am Monte Calamita in der Gemeinde Capoliveri. Der magnetische Magnetit soll einst sogar Schiffe vom Kurs abgebracht haben. Wir aber fahren an diesem Tag unbeirrt über eine kurvenreiche Schotterstraß zum alten Minengelände, wo Relikte des Bergbaus in traumhafter Küstenkulisse faszinierende Akzente setzen. Mit roten Helmen betreten wir die Stollen, erfahren vom harten Alltag der Kumpel und ihrem Leben abseits der Arbeit. An der Oberfläche erzählt das „Museum der alten Werkstatt“ die Geschichte weiter.


Nach dem Abstieg in die Unterwelt streben wir am letzten Tag noch hoch hinaus. Nach einer Fahrt gen Norden beginnt unsere kurze, aber knackige Wanderung zur Ruine des Castello del Volterraio. Elbas älteste Befestigungsanlage thront 400 Meter über der Bucht von Portoferraio und wurde in ihrer Geschichte nie eingenommen. Selbst erfahrene Piraten mit Expertise im Rauben, Morden und Brandschatzen mussten Versuche wiederholt canceln. Das Castello beeindruckt nicht nur durch seine über 1.000 Jahre alte Geschichte, sondern vor allem mit seinem grandiosen Ausblick und den spektakulären Sonnenuntergang von hier oben.
Arrividerci, Elba!
Die letzte Station unseres Elba-Trips ist der Biobauernhof Montefabbrello. Seit rund drei Jahrzehnten widmet sich hier die Familie Dimitri Galletti der Produktion erlesener Weine und anderer landwirtschaftlicher Schmankerln. In den vergangenen Jahren hat sie zudem ein kleines und feines Bed & Breakfast mit fünf stilvoll eingerichteten Zimmern und einem Restaurant etabliert. „Montefabbrello lebt die Weinherstellung wie zu alten Zeiten. Eine Magie, die mir mein Großvater seit meiner Kindheit weitergegeben hat“, erzählt Dimitri.


Auch von Napoleon weiß man, dass er dem Wein zugetan war. Die regelmäßigen Gläschen änderten aber nichts daran, dass er sich auf Elba eingeschränkt und isoliert fühlte. 1815 verließ er daher die Insel, da er zudem seine politische Macht schwinden sah und dachte, in Frankreich erneut Unterstützung zu finden. Mit dieser Flucht begann der dramatische „Hunderttage“-Feldzug, der in der Schlacht von Waterloo endete. Napoleon kehrte nie wieder zurück und wurde nach Sankt Helena verbannt, wo er 1821 starb.


Ich hingegen werde ganz sicher nach Elba zurückkehren, denn ich habe hier noch so manche Rechnung offen: Ich möchte auf einigen der traumhaften Sandstrände probeliegen, ausgiebige Wandertouren in Angriff nehmen und mit dem Mountainbike Höhenmeter machen. Sicher werde ich mich wieder im Campingplatz Valle Santa Maria einrichten – wegen des eigenen Strandes, der feinen Kulinarik und der unterschiedlichen Unterkünfte. Es gibt dort ja auch Apartments, Mobile Homes und Glamping-Zelte. Und natürlich muss ich auch ob der Wildschweine ein Comeback auf der Insel feiern, denn die haben dieses Mal einen Bogen um mich Elba-Frischling gemacht. Lediglich auf Speisekarten kamen sie mir als „Cinghiale“ ein paar Mal unter, was ich so nicht gelten lasse. A presto, Elba!