Zigarren, Traumstrände und Sümpfe – was wie eine Reise durch drei Länder klingt, gibt es alles an Floridas Westküste. Der Abschnitt zwischen Tampa und Naples zeigt den Sunshine State von seiner überraschend stillen, geschichtsträchtigen und wilden Seite.
See you later, Alligator!
Das Wasser ist glasklar, angenehm warm, der Wind rauscht leise durch die Bäume und es herrscht absolute Stille. Meine Schuhe kann ich deutlich durch die Wasseroberfläche erkennen, die habe ich nämlich noch an, genauso wie Socken und meine Hose. Mit meinen Klamotten stehe ich hüfthoch im Sumpf mitten in Florida. Ein langer Stock gibt mir Halt und auch Lisa Andrews, Rangerin im Big Cypress National Preserve. Sie läuft voran und kennt den Weg, der für mich überhaupt nicht existent ist. Andrews weiß genau, an welchen Bäumen wir vorbeiwaten müssen, sie kennt den Ort in- und auswendig.
Alligatoren waren meine größte Sorge, bevor wir den Sumpf betraten. Lisa beruhigte mich, erschrak jedoch genauso sehr wie ich, als ein kleiner Vogel neben uns aus dem Gebüsch flog – die Wellenlänge ist schonmal die Gleiche. Wer bei gebuchten Touristen-Ausflügen, beispielsweise in die Everglades, auf Alligatoren trifft, kann sich sicher sein, dass diese angefüttert sind und wissen, dass es gleich einen Happen gibt. „Das Füttern von diesen Airboats ist eigentlich verboten. Werden Alligatoren nicht angefüttert, bleiben sie scheu“, weiß Andrews. Die Rangerin lebt in Naples, ihre Eltern besaßen ein kleines Strandhaus am Hafen. Kleine Strandhäuser? Reden wir vom gleichen Naples, frage ich mich.
Am Abend zuvor: Die Gegend nahe dem Hafen wirkt wie komplett neu gebaut und unbewohnt. Es ist kaum ein Mensch auf der Straße, nur der Verkehr erinnert daran, dass hier doch Menschen leben. Die Sonne geht allmählich unter, ein Boot voller Touristinnen und Touristen verlässt den Hafen von Naples. Begleitet wird die „Sunset Cruise“ von Delfinen und das Boot schippert vorbei an Prunkvillen, die sich gegenseitig zu übertrumpfen versuchen. Zwischen den Palästen werden neue gebaut, trotzdem sind nur zwölf Prozent der Häuser ganzjährig bewohnt.
Naples hat sich verändert
Am nächsten Tag erzähle ich Lisa Andrews von den Delfinen, dem fantastischen Sonnenuntergang und der Zurschaustellung des scheinbaren Reichtums von Naples. Dort wo heute die Villen stehen, stand einst das kleine Strandhaus ihrer Familie. „Meine Großeltern waren nicht reich, es war damals keine teure Gegend, Naples hat sich sehr verändert“, gibt sie zu. Doch der Sumpf ist geblieben, hier findet Lisa Andrews damals wie heute ihren Frieden. Ein Grund, warum sie Naples bis heute nicht den Rücken gekehrt hat.
Eine andere Seite Floridas wird am anderen Ende der Westküste sichtbar, nämlich in Tampa. Auch hier gibt es Wolkenkratzer, in denen teure Wohnungen vermietet werden, doch es gibt auch reichlich Geschichte. Tampa gilt als Hauptstadt der Zigarren und die Historie dazu lässt sich wunderbar im Stadtteil Ybor City nachverfolgen. Max Herman ist der ideale Begleiter für einen Stadtbummel durch Ybor City, er ist in Tampa geboren, aufgewachsen und teilt heute sein Wissen über die Stadt mit Touristinnen und Touristen.
Ybor und die Zigarren
In Ybor City fand die Zigarrenproduktion ihren Anfang und das Stadtviertel war Ende des 19. Jahrhunderts die Heimat tausender Immigranten, die in den Zigarrenfabriken arbeiteten. „Als Zigarrenroller hast du einen Dollar pro Tag bekommen. Das war damals viel Geld“, erzählt Max Herman. Parallel zu den Zigarrenfabriken gründeten sich sogenannte Social Clubs für die verschiedenen ethnischen Gruppen, die sich in Ybor City angesiedelt hatten. Für 25 Cent im Monat bekamen die Mitglieder verschiedene Bildungsprogramme, kostenlose medizinische Versorgung, den Zugang zu Bibliotheken und zahlreiche weitere Angebote.
Bildung gab es damals auch während der Arbeitszeit, weiß Herman: „Es gab sogenannte Lektoren, die in der Mitte der Halle saßen und den Zigarrenrollern vorgelesen haben. Das waren mal Zeitungsberichte, mal Novellen oder True-Crime-Geschichten. Sie endeten meist mit einem Cliffhanger und so wollten die Arbeiter am nächsten Tag wiederkommen und wissen, wie es weitergeht.“ Heute haben das Radio und Podcasts übernommen. Ybor City bietet etwas, was es in den USA nur selten gibt: das Gefühl, eine Altstadt mit Geschichte zu entdecken. Die Häuserzeilen haben einen herrlichen Industriecharme und ein alter Streetcar, der an die Cable Cars in San Francisco erinnert, tuckert durch die Straßen und bringt die Menschen kostenfrei in den modernen Stadtteil Tampas.
Entspannter Roadtrip an Floridas Westküste
Floridas Westküste von Tampa bis nach Key West eignet sich wunderbar für einen entspannten Roadtrip, da die Entfernungen im Vergleich zum Rest der USA alles andere als groß sind. Von Tampa nach Naples sind es beispielsweise nur gut zweieinhalb Stunden Fahrzeit. Aber Moment, nicht so schnell! Denn zwischen diesen zwei Städten gibt es noch ein paar echte Highlights zu entdecken.
Das erste ist Anna Maria Island, rund eineinhalb Autostunden von Tampa entfernt. Über eine Brücke ist das kleine Eiland mit dem Festland verbunden. Einmal auf Anna Maria Island angekommen, wird das Festland jedoch völlig zur Nebensache. Es fühlt sich an, als wären wir in eine Postkarte hineingefahren. Der Straßenrand ist gesäumt mit tropischen Pflanzen auf der einen und einem blendend weißen Sandstrand auf der anderen Seite. Die Schäden der letzten großen Hurrikane sind nicht zu übersehen, lassen Anna Maria Island aber nicht weniger strahlen.
Der Strand ist so hell, dass ein Spaziergang auf dem (kochend heißen) Sand ohne Sonnenbrille nahezu unmöglich ist. Das Wasser hat Badewannen-Temperatur und es stimmen alle Voraussetzungen dafür, einfach mal nichts zu tun. Wer das nicht so gut kann, findet auf dem Festland in Bradenton ein kleines Künstlerdorf, das sogenannte „Village of the Arts“. Hier wird die Kultur der bunten Holzhäuser Floridas auf die Spitze getrieben und es gibt auf nahezu jedem Grundstück allerlei Skurriles zu entdecken. Viele Häuser beherbergen Galerien und laden zum Besuch ein, vor 11 Uhr ist jedoch kaum etwas geöffnet – ausschlafen und einen Vormittag lang nichts tun ist also trotzdem drin.
Island in the Sun
Von der einen Postkarten-Insel geht es direkt weiter zur nächsten. Vor der Küste von Fort Myers liegt Sanibel Island. Das Eiland ist vor allem für sein reiches Muschelvorkommen bekannt und die gebückte Haltung der Muschelsammlerinnen und -sammler hat hier sogar einen eigenen Namen: „Sanibel Stoop“. Der Strand von Sanibel Island scheint aus nichts anderem zu bestehen, jeder Schritt wird von einem Knirschen begleitet und das nach unten schauen wird zur Sucht. Übrigens können die gefundenen Muscheln mit nach Hause genommen werden, sofern sie nicht mehr leben. Eine Ausnahme ist der sogenannte Sanddollar, diese Art ist streng geschützt und lässt sich an der runden Form mit kreisförmig angeordneten Einschnitten erkennen.
Mit dem Verlassen von Sanibel Island enden auch die typischen Postkartenmotive und Florida verwandelt sich allmählich in einen riesigen Sumpf. Und wir kommen dort an, wo dieser Text begonnen hat. Dort, wo meine Erinnerungen anfangen, wenn ich an diese Reise zurückdenke. Wie habe ich mir das vorgestellt, mitten in einem Sumpf in Florida zu stehen? Unendlich schlammig, stinkend und stets eine Sekunde von einem Alligatoren-Angriff entfernt. Es war genau das Gegenteil davon. Lisa Andrews zeigt ihren Begleiterinnen und Begleitern, abseits von Reichtum und Sonnenbädern, was Florida wirklich zu bieten hat: eine unglaublich reiche und freundliche Natur, die es über allen Maßen zu schützen gilt.
Die wichtigsten Infos
Unternehmungen: Auf der Internetseite des Big Cypress National Preserve werden jährlich Ausflüge mit Rangern angeboten. Das nächste Programm für 2025/2026 wird im Oktober online veröffentlicht.
Touren durch Ybor City mit Max Herman unter tampabay-tours.com buchbar. Angeboten werden Historical Walking Tours, Food Tours und Ghost Tours.
Mietwagen und Maut: Unterwegs passiert man viele Mautstraßen. Es gibt allerdings keine Stationen, die Abrechnung erfolgt im Anschluss über die Mietwagenfirma.
Die Reise wurde unterstützt von Visit Florida.
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