Du fährst wohin? Ras-Al-Khaimah? Das habe ich noch nie gehört“ – Das war so ziemlich die häufigste Reaktion auf meine Reise nach Ras-Al-Khaimah, kurz oft auch RAK genannt. Kein Wunder, das Emirat umfasst gerade einmal 373 Quadratkilometer. Zum Vergleich: Köln ist rund 400 Quadratkilometer groß. Könnte RAK eine Alternative zu Dubai sein für Leute, die gerne mal in die VAE reisen möchten, allerdings kein Interesse an der Definition des Wortes Superlative haben? Spoiler: Unbedingt!
Ras-Al-Khaimah gehört zu den Emiraten, die neben Dubai und Abu Dhabi nur wenig bekannt sind. Dabei ist das winzig kleine Herrschaftsgebiet vollgepackt mit Natur, Outdoorspaß und sogar etwas Geschichte. Statt Wolkenkratzer gibt es hier schroffe Berge, türkisfarbenes Meer und Mangroven ersetzen künstlich angelegte Pools und Fontänen-Shows. Wer Glück hat, kann sogar Flamingos beim Entspannen in den Lagunen zuschauen.
Perlen sind das “Öl” von RAK
Zugegeben, auch RAK ist nicht frei von Luxus-Hotelanlagen, doch viele sind erst im Entstehen. Um das ursprüngliche Emirat kennenzulernen, sollte es weit oben auf der Reiseliste angesiedelt sein. Denn es scheint, als wäre der Wunsch, Dubai nachzueifern, recht groß. Riesige Werbetafeln am Straßenrand informieren über geplante Immobilien-Projekte. Und immer mehr Hotelketten machen sich auf den Weg in das kleine Emirat.
RAK kann sich nicht auf ein reiches Öl-Vorkommen verlassen und hat in der Vergangenheit auf andere Naturschätze gesetzt: Perlen. Der Handel mit den kleinen Naturwundern beschränkte sich nicht auf Ras-Al-Khaimah, doch dort war das Vorkommen besonders hoch. Heute gibt es noch immer Perlenfarmen, jedoch eher für touristische Zwecke. Die bekannteste ist die Suwaidi-Farm in Al Rams, am Fuße des Jebel Jais Gebirges.
Obaid Ullah steht auf einer künstlichen und überdachten Insel, trägt eine traditionelle Kandura, also ein langes weißes Gewand sowie einen Stoffschleier (Ghutra) auf dem Kopf, der von einem geflochtenen Band (Agal) gehalten wird. Neben ihm befindet sich ein kleines Loch im Boden und gibt den Blick in die Unterwasserwelt des Arabischen Golfs frei. Doch viel zu sehen gibt es nicht, außer ein mit Algen bewachsenes Gitter, welches Ullah langsam nach oben zieht. Daran hängen zahlreiche Austern in unterschiedlichsten Größen und Formen. Manche klappen kurz auf und zu, was zeigt, dass es sich dabei um durchaus lebendige Tiere handelt.
Wie aus Schmutz ein beliebtes Schmuckstück wird
Der Gründer der Perlenfarm ist Abdulla Rashed Al Suwaidi. Er hat die Farm erst 2005 eröffnet, sein Großvater soll einer der letzten echten Perlentaucher gewesen sein, sagt Ullah. Getaucht wurde hier schon seit dem 12. Jahrhundert. Die Ausrüstung und der gesamte Vorgang werden auf der Suwaidi-Farm anschaulich dargestellt und Besucherinnen wie Besucher bekommen eine Vorstellung von diesem Knochenjob.
Ganz einfach gesagt, entsteht eine Perle dann, wenn ein Sandkorn oder ein anderer Fremdkörper in die Muschel gerät, fängt diese an, es mit Perlmutt zu umhüllen. Dieses in vielen Farben schimmernde Material ist nichts anderes, als ein Schutzmantel der Muschel, daher ist das auch an den Innenseiten der Schalen zu finden. Entsteht eine Perle von Natur aus, hat sie nicht die perfekte Farbe und Form, ist dennoch deutlich wertvoller, erklärt Obaid Ullah. Für Zuchtperlen wird gezielt ein Fremdkörper in die Muschel eingesetzt und dann braucht es Geduld – etwa zwei Jahre.
Ullah sammelt eine Auster von dem Gitter und lässt es zurück ins Wasser. Er will uns den Prozess einer Perlenernte am lebenden Objekt zeigen. Ob eine Perle in der Auster gewachsen ist, lässt sich vorher nicht sagen. Ist es eine Zuchtmuschel, liegt die Chance bei 60 Prozent, ist es irgendeine Muschel, bei einem Prozent. Auch auf einer Perlenfarm wird nicht auf Tierleid verzichtet und die Auster bei lebendigem Weichtier-Leibe aufgeschnitten. Zum Vorschein kommt tatsächlich eine Perle. Nach der Ernte werden sie in verschiedene Kategorien eingeteilt, die am Ende den Preis bestimmen. Es gibt schon Perlen für umgerechnet € 50,−, nach oben gibt es kaum eine Grenze.
Das Jebel Jais Gebirge ist ein riesiger Abenteuerspielplatz
Eine andere Seite von RAK befindet sich etliche Höhenmeter weiter oben, im Jebel-Jais-Gebirge. Die Fahrt nach oben ist nichts für schwache Mägen, denn es braucht unzählige Serpentinen, bis sich die diesige Luft über dem Arabischen Golf allmählich in etwas klarere Bergluft verwandelt. Oben angekommen, gibt es eine Sommerrodelbahn sowie die einst längste Zipline der Welt – bis Südafrika RAK den Titel abgenommen hat. Dort hat 2024 eine 3,2 Kilometer lange Seilrutsche eröffnet, die Zipline in Jebel-Jais ist „nur“ 2,83 Kilometer lang. Wem dieser Adrenalinschub zu aufregend ist, kann stattdessen die Sommerrodelbahn „Jais Sledder“ ausprobieren, die zwar auf den ersten Blick auch etwas verrückt aussieht, aber eigentlich sehr entspannt ist.
Nahe des Jais Adventure Parks gibt es einen kleinen Aussichtspunkt, der über etliche Treppenstufen erreichbar ist. Die sengende Hitze muss hier kurz ausgeblendet werden, denn für die Aussicht lohnt sich die kurze Qual definitiv. Oben angekommen eröffnet sich ein wahrlich unwirkliches Panorama. Die Felsen des Gebirges wirken messerscharf und so steil, dass dort wohl noch nie ein Mensch seinen Fuß draufgesetzt haben wird – Bergziegen spazieren dagegen mit einer Leichtigkeit über das Gestein, dass einem beim bloßen Hingucken schon ganz schwindelig wird.
Liegt hier die Seele der VAE?
Der Adventure Park ist noch nicht die Spitze des Gebirges. Noch weiter oben auf dem Gebirgskamm befinden sich noch zwei besondere Orte: das Camp 1770 sowie ein Grenzstein. Mit einem kleinen Schritt kann hier oben die Grenze zum Oman überschritten werden. Der Ort befindet sich nur einen kurzen Spaziergang vom Camp entfernt, gegründet von Fadi Hachicho. Die großen Zelte sowie eine gemütliche Sitzecke stehen auf 1770 Metern Höhe, was auch den Namen des Camps erklärt. Nicht nur die Aussicht über das Gebirge bis hin zum Meer ist fantastisch, sondern auch das Essen, das Fadi pünktlich zum Sonnenuntergang serviert.
Die Gerichte kochen einheimische Familien frisch, erklärt Fadi Hachicho und schenkt eine Kelle Asidi nach der anderen aus. Asidi ist ein Getreidebrei mit Kürbis. Klingt erstmal nicht sonderlich appetitlich, ist geschmacklich jedoch eine Wucht. Kardamom, Zimt und Dattelsirup bringen die Essenzen der arabischen Küche auf die Zunge. Dazu gibt es Luqaimat, kleine frittierte Teigbällchen, die im Dattelsirup schwimmen sowie Balaleet, feine Nudeln mit einer süßen Gewürzmischung und Ei. Runtergespült wird das Ganze mit Karak, einer Art Chai-Tee mit Kardamom und Kondensmilch oder anderen Süßungsmitteln.
Magie über den Bergen
Während Fadi Hachicho über das Essen referiert, geht allmählich die Sonne unter. Die Stimmung ist fast magisch. Alle Teilnehmenden verstummen und blicken sprachlos in Richtung Horizont. Es ist völlig still. „Der Ort hat eine besondere Aura, deshalb wollte ich das Camp unbedingt hier errichten“, sagt Fadi, der in Kuwait geboren und in Texas aufgewachsen ist. In Ras-Al-Khaimah hat er seine Bestimmung gefunden, hier fühlt er sich wiedergeboren, sagt er. Mit seinem Camp will er den Menschen einen Platz bieten, fernab der Hotelanlagen und Städte. Vielleicht hat Fadi Hachicho hier die Seele der VAE gefunden, ganz ohne glitzernde Wolkenkratzer und Touristenmassen – ein Ort, an dem sich das wahre Herz der Emirate erleben lässt.
Informationen zu einer Ras-Al-Khaimah Reise
Anreise: Flug nach Dubai, anschließend mit dem Bus, Taxi oder Mietwagen weiter bis Ras-Al-Khaimah.
Unternehmungen: House of Pearls – Suwaidi Perlenfarm, Touren online buchbar: suwaidipearls.ae
Besuche im Camp 1770 können per Mail oder online angefragt
Währung: Gezahlt wird mit VAE-Dirham, Bargeld lohnt sich, da nicht jedes kleine Geschäft Kartenzahlung anbietet.
Die Ras Al Khaimah Tourism Development Authority unterstützte die Reise.