Werfenweng/Salzburg. Wer Hermann Maier 1998 bei seinem fürchterlichen Sturz im japanischen Nagano in den Fangzaun neben der Piste rasen gesehen hat, der kommt niemals auf die Idee, schifahren lernen zu wollen. Doch dann, 23 Jahre später, ergreifen Neugier und ein gerütteltes Maß an Übermut Besitz vom klaren Verstand. Ergebnis: Eine Anmeldung in der Dorfschischule Werfenweng für einen Schikurs für Erwachsene. Ein Einblick in die Höhen und Steilhänge des lebenslangen Lernens.
Eine todesmutige Reportage von Michaela Hessenberger
Zwischen Pudelmützen und Robert-Seeger-Gedenkpullis tritt Tassilo hervor. Er ist der Herr der Ausrüstung. Ein paar prüfende Blicke, dann verschwindet der erfahrene Mann in Regalreihen voll mit bunten Schiern, um kurz darauf ein Paar der Marke Völkl zu präsentieren. Anfängergeeignet, selbstverständlich. Dann geht’s ans Schischuhprobieren. Für den ungeübten Fuß durchaus eine Herausforderung. Immerhin will er mit Kraft-, aber ohne Gewaltanwendung in den Schuh gepresst werden. „Wie ist der Druck?“, will Tassilo wissen. Auf einen leidenden Blick hin holt er ein anderes Modell hervor, ein weicheres. Was für ein Segen. Tassilo spricht von der Schilänge, der Breite, Einstellungen. Mit einem Schraubenzieher verfeinert er letztere direkt am Sportgerät. Die Stöcke in der richtigen Höhe stehen schon bereit. Hat er mit einem einzigen Blick völlig korrekt eingeschätzt. Fehlt noch der Helm. Ohne ihn gibt’s sinnvollerweise keine Pistengaudi.
Erwachsene Anfänger sind keine Seltenheit
Wie oft die Dorfschischule in Werfenweng mit derart absoluten Beginnerinnen und Beginnern mittleren Alters zu tun hat? „Fünf- bis zehnmal pro Woche“, schätzt Inhaberin Elisabeth Kraft. Chef Manfred Weiß nickt. Die beiden berichten von den Schwierigkeiten des Gruppen-Schiunterrichts in Pandemiezeiten, von erst reiselustig-hoffnungsvollen und dann doch fehlenden Touristen – und von den Einheimischen, die eine Anfahrtszeit von bis zu zwei Stunden gerne in Kauf nehmen, um die Pisten im Salzburger Tennengau zu erobern. Von der Stadt Salzburg bis zur Dorfskischule sind es bei idealen Verkehrsbedingungen (Stichwort „grüne Welle“ auf dem Weg aus der Mozartstadt) gestoppte 43 Minuten über die A10, die Tauernautobahn.
Was Werfenweng als Schigebiet besonders macht? „Wir haben hier die idealen Bedingungen für Anfänger“, sagt Elisabeth. Balsam für die Ohren furchtsamer Leute. Skifahren lernen als Erwachsene ist schon auch eine Respektssache. „Erst ist es ganz flach, nach und nach kann man sich auf steileres Gelände wagen.“ Zuversicht macht sich breit, zumindest etwas. Dann kommt ein junger Mann durch die automatische Tür in das Sportgeschäft. Seinen Helm balanciert er locker am Kopf, im Gesicht hat er ein breites Grinsen. Er stellt sich als Andreas vor. Der Däne Anfang 20 ist der Schilehrer. Elisabeth entlässt das Duo mit einem bestärkenden Schlag auf beider Schultern in Richtung Babyhang. Der befindet sich ein paar wenige Autominuten weiter.
Der erste Kontakt mit dem Schnee
Am Parkplatz gibt es erste Erkenntnisse. Punkt eins: Hasten im Schischuh? Fehlanzeige. Gehen im Schischuh? Ebenso. Roboterartiges Schreiten im ruckartig-abgehackten Stil? Schon eher. Punkt zwei: Eine überschaubare Strecke – es sind eigentlich nur ein paar Meter bis zum Übungsgelände – wird deshalb zum gefühlten Halbmarathon. Punkt drei: Was als „anfängergerechtes weil flaches Gebiet“ beschrieben war, lässt im Kopf Bilder von Hermann Maier in Abfahrtshocke kurz vor seinem halsbrecherischen Abflug warnleuchtengleich aufscheinen.
Andreas scheint Gedanken hören zu können. Zum aufmunternden Blick kommen erste Erklärungen, wie man sich am Gefrorenen aufrecht hält und noch bevor man eine Gefahrenanalyse beginnen kann, heißt es „Schi anschnallen“. Klick, klick, passt. Dort, wo niemand unterwegs ist, steht zuallererst das Rutschen am Schnee an. „Du musst ein Gefühl kriegen für das, was unter dir ist“, sagt der Däne. Salzburg und die Region kennt er schon, im Winter war er erst mit der Familie zu Gast, dann kam er zum Arbeiten her. Die Freude über seinen Job ist ihm anzusehen, mit großer Geduld macht er sich jedes Mal mit auf den Weg, wenn das Förderband ihn und seine 38 Jahre junge Schülerin Mal für Mal nach oben an den Pistenanfang bringt. Die – erfolgreichen! – Versuche, unfallfrei hinunterzumäandern werden von Kleinkindern flankiert, deren Schianzüge größer als sie selbst scheinen und die ohne Stöcke in den Fäustlingen zu halten mit einem Affenzahn Schuss vorbeirasen. Da bleibt nur staunendes Kopfschütteln über diese Risikobereitschaft, während man selbst versucht, die Bretter parallel, die Knie leicht angewinkelt und den Oberkörper wie empfohlen zu halten.
Die ersten Meter am Schnee dürften insofern zufriedenstellend absolviert worden sein, weil Andreas nach den gemeinsamen Übungsstunden sagt: „Ich mache mich jetzt auf den Weg. Wenn du magst, kannst du noch weiter rauf und runter.“ Was, so ein Zutrauen nach nur vier Stunden? Stolz kommt auf, nach einem lässigen High Five schwingt der dänische Lehrmeister zum Lift und entschwindet zwischen ver- und beschneiten Hügeln. Es sei ihm vergönnt, dass er nun ein paar Abfahrten für sich genießen kann.
Durchatmen. Okay. Allein auf der Piste. Der Tellerlift ist frei. Auf ins Gefecht. Etliche Male geht es den Hang entlang. Tag eins verstreicht ohne Sturz, ohne Ausrutscher, ohne Verletzung. Hermann-Maier-Gedanken treten nach hinten, zumindest ein wenig. Das Gefühl des wackeren Entdeckergeistes bleibt. Schifahren lernen als Erwachsene, mit 38. Als die Füße aus den Schischuhen dürfen, könnte der Tag kaum schöner sein. Ab nach Hause.
Die Fähigkeiten auf der Piste nehmen zu
Tag zwei beginnt mit einem leichten Muskelkater. Noch wirft Tag drei in diesem Punkt keine Schatten voraus und deshalb geht es erneut von Salzburg nach Werfenweng. Die Schi und alles andere dürfen die drei Tage, die der Grundkurs für Erwachsene dauert, im Auto bleiben. Spart Zurückbringen und Holen, ideal. Andreas wartet schon am Pistenrand unterhalb einiger gemütlich wirkenden Chalets, den Woodridge Luxury Chalets, wie sich später herausstellt. Sein freudiges „Hej“ markiert den Beginn der kommenden Stunden, in denen es um Pizza und Pommes geht. Wissende ahnen: Gemeint ist nicht die Hüttenkulinarik, sondern das Bremsen und Beschleunigen. Dass die Basics des Vortages wiederholt werden, während abermals Dreijährige vorbeirasen, darf nicht stören. Bogerl (Kurven also) fahren lernen kommt hinzu, der Unterschied zwischen Berg- und Talschi wird klar; wie man bremst, ist in der Theorie klar. Dennoch macht sich immer wieder die Befürchtung breit, das Tempo nicht kontrollieren zu können. Zum Kuckuck, diese Piste hat vielleicht unangenehme Partien. Steiler als das übrige Gelände sind die, wie tückisch!
Während sich Tellerlift- und Abfahren aneinanderreihen, strahlt die Sonne im Tennengau, als ginge es um einen Wettbewerb für die Tourismuswerbung im SalzburgerLand. Tag zwei geht erneut unfalllos über die Bühne, nach den gemeinsamen Stunden zischt Andreas wieder ab zum Lift auf den höchsten Gipfel und am Babyhang wird noch weitergeübt, bis Hunger und Freiheitsdrang der Füße siegen und zum Heimfahren führen. Nachmittags am Sofa wird allerdings klar, dass ein erneutes Hineinzwängen in die Schischuhe mehr als bloße Überwindung kosten wird.
Skifahren lernen in drei Tagen? Freilich!
Tag drei ist überwältigend. Ein nie dagewesener Muskelkater lässt die Oberschenkel erstarren, die Füße fühlen sich an wie nach alter fernöstlicher Tradition klein und fein zurechtgemacht. Oh. Mein. Gott. Die Schritte in die Schischuhe hinein schmerzen. Als Andreas winkt, ist höchste Schauspielkunst an der Reihe. Seinem sonnigen Gemüt möchte man nicht mit schmerzverzerrtem Gesicht begegnen und nach ein paar Schwüngen sind Ach und Weh im Griff. Auf die Wiederholung des Gelernten folgt das Üben des Parallelfahrens. Ziel des Kurses ist, nach dem Absolvieren leichtere Pisten wohlbehalten hinunterzukommen. Ob man sich das nach drei mal vier Stunden tatsächlich zutrauen darf? Andreas, Elisabeth und Manfred von der Dorfschischule Werfenweng heben die Daumen. Die Mission ist für alle Beteiligten erfüllt. Drei Kurstage vollgepackt mit den Grundlagen: check.
Ein paar Monate später, es ist längst Sommer, geht es für den Chillreport ausgerechnet in jene Chalets, die über dem Anfängerhang liegen, in denen im Februar am Fuße des Tennengebirges die allerersten Schwünge stattgefunden haben. Dort, zwischen gelb blühendem Löwenzahn und heiterem Vogelgezwitscher, schlägt das Entsetzen mit voller Wucht zu: Was sich unter der festen weißen Schneedecke auf Schiern stehend zuweilen wie eine nicht zu kontrollierende Schnellstraße ins Tal anfühlte, entpuppte sich als sanfte Blumenwiese mit kaum nennenswerter Neigung. Hermann Maier würde dort wohl Schmetterlinge beim Segeln durch den lauen Wind beobachten und an alles andere denken, als an eine eisige Abfahrt, die zielgenau ins erstbeste Gipszimmer führt.
Informationen und Preise über die Kurse – für Erwachsene, Kinder, Gruppen – gibt es auf www.dorfskischule.info. Unter www.bergbahnen-werfenweng.at finden sich Beschreibungen zum Schigebiet und Tarife. Besagte Chalets gibt es auf www.woodridge.at zu entdecken.
Ein herzliches Dankeschön an Elisabeth Kraft und Manfred Weiß von der Dorfschischule, dass sie dem Chill Report diese Recherche ermöglicht haben!