Dass sich das Klima verändert, ist wissenschaftliche Tatsache. Den Klimawandel zu leugnen ist ungefähr so, wie die Gültigkeit der Naturgesetze in Abrede zu stellen, nur weil man beispielsweise die Relativitätstheorie nicht versteht. Die Daten sprechen für sich. Laut Klimadienst Copernicus lag die globale Durchschnittstemperatur nun zwölf Monate in Folge 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau. Das ist eine kritische Marke.
Die Stadt der Zukunft muss sich also schleunigst etwas überlegen, um auch künftigen Generationen eine lebenswerte Umgebung bieten zu können. Fest steht: verseigelte Flächen sind nicht des Rätsels Lösung. Während man hierzulande das Gefühl hat, über jede Grüninsel mit erbosten Autofahrenden streiten zu müssen, die um Parkplätze fürchten, geht man in Singapur schon seit Jahren einen ganz anderen Weg. Die Megacity macht vor, wie man urbane Räume grün, klimaresilient und lebenswerter gestalten kann.
“In vielen Teilen der Welt wird Land zersplittert oder wirtschaftlichen Interessen untergeordnet. Singapur hingegen behandelt es als gemeinsames nationales Gut.”
Chang Huai-Yan, Architekturbüro Sald Dressing, Singapur
Naturintegrierte Stadtplanung
Singapur ist eine Millionenstadt. Sie ist besonders dicht besiedelt. Und dennoch leben die Menschen hier nicht in Betonwüsten. Statt grauer Hochhäuser und endloser Straßen spannen sich grüne Brücken von einer seite zur anderen, Regenwassergärten ersetzen Gullys und an den Hausfassaden wachsen vertikale Wälder. Singapur ist eine der grünsten Städte der Welt. Ihr Grünanteil stieg in den Jahren 1986 und 2020 auf 47 Prozent. Und das funktioniert, obwohl hier rund 8.000 Menschen pro Quadratkilometer leben.
Doch damit nicht genug. Was man 1960 unter dem Motto “Garden City” begann, weitet man nun aus. Statt “Garden City” ist nun “City in Nature” ausgerufen. Mit städtischen Parks, Rasenflächen und Gärten will man sich nicht mehr begnügen. Statt dessen soll der sogenannte Green Plan bis 2030 Stadt und Natur noch nahtloser verbinden. Zu diesem Zweck pflanzt man eine Million neue Bäume, erweitert den Anteil von öffentlichem Nahverkehr auf 75 Proent und baut das Park Connector Network aus. Dabei handelt es sich um grüne Wege, die mehr als 350 Parks, Wohnquartiere, und Küstenareale miteinander verbinden. Jeder Mensch kann damit innerhalb von zehn Minuten einen Park erreichen. Zu Fuß.
Biophile Stadplanung
Wie natürlich Mensch und Natur miteinander existieren können, zeigt das MacRitchie Reservoir. Dabei handelt es sich um einen tropischen Regenwald mitten in Singapur. Entlang des 250 Meter langen TreeTop Walks kann man Affen, Vögel und Echsen in freier Wildbahn erleben. Der Rail Corridor ist ein weiteres Beispiel. Die ehemalige Bahntrasse wurde auf 24 Kilometern renaturiert – hier breitet sich heute dichter Dschungel aus. Ohnehin schon ein Klassiker biophiler Architektur in der Stadt der Zukunft sind die “Supertrees” im Garden by the Bay. Abends prächtig illuminiert, sammeln sie Regenwasser zur Bewässerung, erzeugen Solarstrom und senken durch Verdunstungskühlung die Temperaturen im Umkreis um 4 Grad.
Wie ein atmendes Ökosystem funktioniert die Architektur des Hotel Parkroyal Collection Pickering. Es reguliert mit 15.000 Quadratmetern Grün- und Wasserfläche aktiv das Mikroklima, sammelt Regenwasser zur Bewässerung und setzt auf natürliche Belüftungssysteme statt Klimaanlagen. Die bepflanzten Fassaden binden jährlich 60 Tonnen Kohlendioxid. “Es gibt ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass Natur mehr ist als reine Begrünung − sie wird zunehmend als Resilienz-Infrastruktur verstanden”, so Chang Huai-Yan vom Architekturbüro Salad Dressing. Klingt, als müsse Singapur demnächst auf die Bucketlist, oder?